Paradigmenwechsel in der Zuschreibung von Alter Rosemarie Kurz, Referentin für Generationfragen 1997 Paradigma kommt aus dem Griechischen und bedeutet Vorbild, Muster, Gleichnis oder Beispiel. Paradigma wechsel bedeutet demnach, dass wir uns für die auf uns zukommenden Umwälzungen in allen Lebensbereichen auf neue oder neue alte bzw. alte neue Muster besinnen müssen, um den veränderten und den sich ständig verändernden Lebensbezügen gerecht werden zu können. Die Inhalte der Vorlesungsreihe des Wintersemesters 1996/97 zeigten, daher für die Ökologie des gesellschaftlichen Zusammenlebens auf globaler und regionaler Ebene neue Vorbilder und Denkweisen in den unterschiedlichsten Bereichen. Wissenschaft und Forschung vieler Disziplinen gehen in Richtung eines ganzheitlichen Weltund Menschenbildes. Der Titel des heutigen Referates: Das neue Paradigma der neuen Alten über 50: Aktiv und selbstbewusst - meditativ und sinnerfüllt! Muss man/frau sich vor dem Altern fürchten? Paradigma impliziert unterschiedliche Sichtweisen, die in einem von der WHO gepredigtem Postulat zum Ausdruck kommen: „Dem Leben Jahre geben und den Jahren Leben geben“! Der medizinische und soziale Fortschritt ermöglichte es das Leben zu verlängern. Es ist dies ein globales Phänomen. Natürlich ist in den Industriestaaten eine rasantere Entwicklung beobachtbar, aber auch in den Entwicklungsländern ist ein Trend zur Langlebigkeit zu verzeichnen. (Folie von Lehr zur Langlebigkeit). Solange die Medizin Lebensverlängerung allein als Paradigma hochstilisiert und die Seite des Wohlbefindens außer Acht lässt, wird höheres Alter von den Betroffenen angsterfüllt erwartet werden bzw. die letzte Phase des Lebens schlichtweg verdrängt. In Untersuchungen wurde festgehalten, dass die menschliche Lebenszeit bis auf 130 Jahre ausgedehnt werden kann. Demnach wird mittleres Alter mit 80 Jahren und hohes Alter mit 120 Lebensjahren beginnen. Für viele Menschen sind diese Aussichten pure Freude, Für andere eher ein Horrorszenarium. In welche Richtung die Menschheit gehen wird, hängt von den zu setzenden Prioritäten ab und den dafür ausgewiesenen Finanzierungsquellen. Für Ursula Lehr ist dieser Mangel an Weltoffenheit jedoch gesellschaftlich gemacht. Die normativen Gehalte in der Wahrnehmung des Altersprozesses seien in ihrer vielfältigen Erscheinungsform zugleich auch bestimmend für die Bedingungen und Möglichkeiten, die die Gesellschaft für die Älteren schafft und zulässt. Werden Gelder freigesetzt, die einer einseitigen Forschung für Lebensverlängerung zugute kommen, so wird sich der Langlebigkeitstrend für wenige Menschen zu Ungunsten des Wohlbefindens für viele Menschen fortsetzen. Wäre das medizinische Paradigma Wohlbefinden, so müssten bereits heute Geldmittel für aktivierende Maßnahmen im Gesundheits- und Sozialbereich freigesetzt werden. Bescheidene Ansätze in dieser Richtung sind in der Steiermark zu verzeichnen. Landesrat Günter Dörflinger stellt in Aussicht, dass die GEFAS-Steiermark ein Gesundheitsprogramm für Menschen 50plus in der ganzen Steiermark installiert werden soll. Unsere Lebenserwartung hat sich innerhalb eines Jahrhunderts verdoppelt. Gleichzeitig beobachten wir eine zunehmende Sinnentleerung und gesellschaftliche Geringschätzung der sogenannten dritten und vierten Lebensphase. Das Auseinanderklaffen von in früheren Epochen unvorstellbaren Möglichkeiten der Lebensverlängerung einerseits und der gesellschaftlich produzierten Funktionslosigkeit andererseits, ist eines der gravierendsten Probleme unserer Zeit überhaupt. 1

Die Lebensphase nach dem Ende der Erwerbstätigkeit wird heute durch frühzeitige Verrentung und steigende Lebenserwartung kontinuierlich verlängert. Gleichzeitig werden die Lebenssituationen, die sie umfasst, immer unterschiedlicher. Ausweitung und innere Differenzierung charakterisieren das "Alter", dessen Bogen über drei Generationen gespannt ist: vom knapp 55 jährigen durch soziale Maßnahmen "freigesetzten" Arbeitnehmer bis hin zur 95jährigen Greisin. Alter und Ruhestand sind nicht länger Entsprechungen, und der Gestaltungsbedarf, der mit dieser nun 30 bis 40 Jahre dauernden Lebensphase einhergeht, macht traditionelle Orientierungsmuster obsolet. Schmidt-Zemann merkt an, dass "Feierabend" und Müßiggang des "wohlverdienten Ruhestands" als Leitvorstellung für ein ganzes Drittel des Lebens mehr als fragwürdig sind. In den vergangenen 50 Jahren hat sich schleichend ein neues Altersbild durchgesetzt und ebenso schleichend sind damit Veränderungen einhergegangen. Diese bewirken ein allgemeines Unbehagen und Ratlosigkeit kann in viele Lebensbereichen geortet werden, wenn es um das Phänomen des dritten Lebensalters geht. Ironischerweise ist das hier angesprochene "Alterskapital", das es für die Gesellschaft gewinnbringend einzusetzen gilt, gebunden an den Verzicht, es im Wirtschaftsleben weiterhin zu verwerten. Modifizierte Verordnungen und Gesetze werden nötig sein, um das Alterskapital auch nutzen zu können. Ein bedeutsamer und sicher nicht folgenloser Versuch, die optimistische Perspektive eines "Alters-Kapitals" dem Belastungsdiskurs entgegenzustellen, wird von den entwicklungspsychologischen Vertretern der Gerontologie formuliert. Aktivität im Alter bringt doppelten Nutzen: einerseits nützt eine sinnvolle, nicht überfordernde Tätigkeit den Alten selbst und andererseits zieht die Allgemeinheit Nutzen aus der Tätigkeit der Nicht-mehr-Erwerbstätigen. Es ist zweifelsohne so, dass sich in der Lebenszeiteinteilung ein Paradigmenwechsel vollzogen hat. Zu den Lebenszeiten Kindheit/Jugend, aktives Erwachsenenalter und Alter gesellte sich das sogenannte „Dritte Lebensalter“. Das sich durch medizinische, soziale und arbeitsrechtliche Entwicklungen und Maßnahmen in den vergangenen Jahrzehnten herausgebildet hat. Im nach hinein müssen jetzt Strukturen gefunden werden, die dieses Phänomen aktiv berücksichtigen. Der nachberufliche Lebensabschnitt wird von den Betroffenen nicht defizit\'e4r empfunden wird. Altern wird als lebenslanger Wachstumsprozess begriffen, der von der Geburt bis zum Tode währt, als fortwährende Entwicklung der Persönlichkeit. Simone de Beauvoir schreibt dazu sehr deutlich: "Wollen wir vermeiden, dass das Alter eine spöttische Parodie unserer früheren Existenz wird, so gibt es nur eine einzige Lösung, nämlich weiterhin Ziele zu verfolgen, die unserem Leben einen Sinn verleihen: hingebungsvolle Tätigkeiten für einzelne, für Gruppen oder für eine Sache, Sozialarbeit, politische, geistige oder schöpferische Arbeit. Im Gegensatz zu den Empfehlungen der Moralisten muss man sich wünschen, auch im Alter noch starke Leidenschaften zu haben, die es uns ersparen, dass wir uns nur mit uns selbst beschäftigen. Das Leben behält seinen Wert, solange man durch Liebe, Freundschaft, Empörung oder Mitgefühl am Leben der anderen teilnimmt. Dann bleiben auch Gründe zu handeln und zu sprechen.“ So gesehen ist in Zukunft eine Umkehr der über Jahrtausende hinweg eingeschliffenen Abwertung von höherem Alter wahrscheinlich. Allerdings wird eine Rückanpassung der 2

Älteren an den gesellschaftlichen „ mainstream“ hinsichtlich der Aktivierungs- und Bewegungsfähigkeit , der inneren Umstellung, des Umlernens und der Umgang mit der aktuellen Situation, Voraussetzung für diese Umkehr sein müssen. Ein Eingreifen in die Wandlungs- und Lerngesellschaft aufgrund der besonderen, persönlich erworbenen Qualitäten von Älteren könnte für die post- moderne Gesellschaft die Aufwertung des späten Lebens bewirken. Schmidt und Zemann weisen in diesem Zusammenhang darauf hin, dass bei den Plänen für die Zukunft von Altenarbeit die Initiativen Älterer eine Vorbildfunktion für neue gesellschaftliche Modelle haben werden, da sie selbstbewusst und selbstbestimmt ihr Leistungsvermögen einsetzen, um soziale Anerkennung und gesellschaftliche Teilhabe zu erwirken. Sie sind eine "pressure-group", die unter anderem die Selbst- und Fremdbilder des Alters verändern kann. Um den Forderungen der „Neuen Alten“ gerecht zu werden, bedarf es eines Abschieds vom Defizitmodell und einer intensiven wissenschaftlichen Befasstheit mit den Lebensjahren, die zwischen der aktiven Arbeit und dem Abschnitt des höchsten Lebensalters liegen. Forschungsschwerpunkte sollten in der Präventivmedizin, in Bildungs-, und Wirtschaftsfragen, in der Bewertung des Humanpotentials bis hin zu religiösen, theologischen Fragen Berücksichtigung finden. Altern kann positiv oder negativ gestaltet und erlebt werden. Die Meisterung des Alters hängt von der einzelnen Persönlichkeit, der Lebensbiographie, den Lebensumständen, den Mitmenschen und den gesellschaftlichen Gegebenheiten ab. "Der Alte ist nicht, wie bei den Menschenaffen, ein Wesen, das nicht mehr kämpfen kann, sondern er kann nicht mehr arbeiten und ist damit ein unnützer Esser geworden. Niemals hängt seine Stellung nur von den biologischen Bedingungen ab: Kulturelle Faktoren fallen ins Gewicht. Um gesellschaftliche Strukturen für ein lebbares Alter zu schaffen, sind wir alle aufgerufen an Problemlösungen zu arbeiten, eine positive Sichtweise des Alterns zu ermöglichen und generationsübergreifende Handlungsfelder auszumachen, um damit Möglichkeiten zu schaffen, die Bevölkerungsgruppe der Alten gesellschaftlich zu integrieren. In diesem Zusammenhang ist es nötig, darauf hinzuweisen, dass ältere Frauen und Männer ermutigt werden, aus einem tradierten Rollenverständnis der angepassten und genügsamen Alten auszubrechen und an den Bedingen des eigenen Alterns aktiv mitzuarbeiten und sich darüber hinaus für gesellschaftliche Veränderungen einzusetzen, um ein gleichberechtigtes Miteinander der Generationen zu ermöglichen. Unsere Gesellschaft sollte nicht auf deren Erfahrungen verzichten - und die älteren selbst sollten diese in die Diskussion bei der Gestaltung des gesellschaftlichen Lebens mit einbringen. Philosophen und Essayisten haben den Begriff Alter mit dem der Tugend verbunden und die Erfahrung gepriesen, die es verleiht. Das Alter wäre die Vollendung des Lebens im doppelten Sinn des Wortes; es beendet es und ist seine höchste Erfüllung. Abgesehen von dieser persönlichen Erfüllung des alten Menschen drängen sich für die Öffentlichkeit folgende Fragen auf: Wann werden wir anerkennen, dass von den Älteren ein größeres Maß an finanzieller Hilfe für die mittel alten und jüngeren Familienmitglieder ausgeht als umgekehrt? Wann werden wir einsehen, dass eine alternde Gesellschaft mehr Chancen und Möglichkeiten für das Leben in der Familie bietet, den Horizont eher erweitert als einengt? 3

Wann werden wir zur Kenntnis nehmen, dass auch bei steigenden Lebenserwartungen immer mehr Ältere auch als Hochbetagte gesund und in ihren Funktionen nicht eingeschränkt leben? Wann werden wir begreifen, dass die Alterspopulation die Gesellschaft sowie die Familien und deren Hilfepotential nicht in erster Linie belastet, sondern viel eher eine bisher zu gering genutzte soziale Ressource darstellt? Wann werden wir verstanden haben, dass sich uns angesichts der derzeitigen demographischen Entwicklung und den damit einhergehenden gesellschaftlichen Veränderungen reichhaltige neue Möglichkeiten eröffnen Gleichberechtigung der Generationen erfordert die Möglichkeit einer gesellschaftspolitischen Mitbestimmung und Mitgestaltung aller Bevölkerungsgruppen. Angesichts der Tatsache, dass heute 1,6 Millionen Österreicher und Österreicherinnen älter als 60 Jahre alt sind und dass die Wahrscheinlichkeit besteht, dass in 50 Jahren jeder dritte Österreicher, Österreicherin älter als 60 Jahre alt sein werden, erhebt sich die gesellschaftspolitische Frage, welche Art von Mitsprache im Sinne sozialer und politischer Teilhabe wird von der älteren Bevölkerung gewünscht, welche Themen sind relevant und welche Formen der Mitsprache kommen den Bedürfnissen dieser Bevölkerungsgruppe am ehesten entgegen? Erkennbar wird aus den Berichten insgesamt, dass sich erfolgreiche Projektvorhaben mit älteren Menschen, in denen neuartige Aktivitäten und Initiativen für nachberufliche Lebenssituationen angeregt und organisiert werden, offenbar immer durch ein gehöriges Maß an "Aufbruchsstimmung" und durch eine ihnen innewohnende befreiende Dynamik auszeichnen, durch die sie sich grundlegend von Maßnahmen fürsorgerischer Betreuung unterscheiden, nämlich: Produktivität wird freigesetzt. Bernice Neugarten (1974) löste die Homogenität des Konzepts Alter dadurch auf, dass sie alte Menschen in young-old und … einteilte, also die rüstigen und selbständigen von den hoch betagten, gebrechlichen und hilfsbedürftigen Alten unterschied - eine Differenzierung, die begriffsmäßig inzwischen von den Kategorien able-elderly and frail-elderly abgelöst worden ist. (In Europa spricht man mittlerweile vom 3. und 4. Lebensalter. Welches Potential auch im Sinne von politischem und sozialem Kapital ist in jener Bevölkerungsgruppe vorhanden, die im Allgemeinen noch immer als alt, krank und behindert charakterisiert wird? Die Aktivierung dieses Potentials hat weniger damit zu tun, ob sich ältere Menschen für Politik interessieren, jedoch sehr viel damit, ob sich die Politik für ältere Frauen und Männer interessiert und Rahmenbedingungen schafft, die Mitsprache und Kommunikation dieser heterogenen, großen Bevölkerungsgruppe gewährleistet. "Seit der Antike hat der erwachsene Mensch versucht, das Leben unter einem optimistischen Licht zu betrachten, und hat dabei den anderen Lebensaltern, die nicht die seinen waren, die Tugenden beigemessen, die er nicht besaß: die Unschuld dem Kind, die heitere Gelassenheit dem Greis. Warum sollte der Greis "besser" sein als der Erwachsene oder das Kind, das er einmal war? Es ist schon schwer genug, ein Mensch zu bleiben, wenn einem alles genommen worden ist: Gesundheit, Gedächtnis, materielle Mittel, Prestige, Autorität. So wie das Kind kein unvollendeter Mensch sei, sei auch der Greis kein verstümmelter Erwachsener, sondern ein vollständiges Individuum, das eine originale Erfahrung durchlebt Spezifische Merkmale österreichischer Seniorenpolitik: ein hoher Organisationsgrad in parteipolitisch organisierten Seniorenverbänden. Eine Diskrepanz zwischen einem hohen Organisationsgrad der österreichischen PensionistInnen

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und der geringen politischen Sichtbarkeit. Die Mitglieder werden nicht als politische Basis mobilisiert, sie treten als Organisatoren von Serviceleistungen in Erscheinung. Politische Inhalte und Strategien werden von den führenden Funktionären der Seniorenorganisationen auf Landes- und Bundesebene geprägt und werden derzeit von weitreichenden gesellschaftspolitischen Forderungen im Sinne neuer Zukunftsaussichten für die Altersphase kaum beeinflusst. Eine Seniorenpolitik jenseits von Fragen der Pensions- und Gesundheitspolitik ist erst im Entstehen. Die Heterogenität der Wünsche und Bedürfnisse der PensionistInnen erweist sich als Hemmschuh. Die soziologische Kategorie des Alters ist als Zeit des sozialen Rückzugs konzipiert. Österreichische Vertretungsstrukturen für SeniorInnen und PensionistInnen: Da es kein bundeseinheitliches Rahmengesetz für Vertretungsstrukturen gibt, ist die demokratische Einbeziehung von Interessen älterer Menschen auf Ebene der österreichischen Bundesländer vom guten Willen der jeweiligen Landesregierung abhängig. Es haben sich daher in den neun Bundesländern unterschiedliche Modelle und Varianten herausgebildet. Seit 1994 existiert ein Bundesseniorenrat, der unter dem Vorsitz des Bundeskanzlers drei bis viermal vom Bundeskanzler tagt. Zu diesem Gremium gehören vom Bundeskanzler ernannte VertreterInnen der Ministerien, der Länder, Städte und Gemeinden und die Seniorenkurie, die aus den Vertretern der drei großen Senioren Organisationen besteht. Insgesamt umfasst dieses Gremium 35 Personen. Es hat beratenden Charakter und kann zur Klärung von Sachfragen Expertinnen hinzuziehen. Auch wenn die Struktur dieses Gremiums kritisiert wurde z.B. Fixierung auf Vertreter der parteipolitischen Seniorenorganisationen, Missachtung der Bundesstaatlichkeit, Fehlen der Alterswissenschaften, mangelnde Öffentlichkeitswirkung, so stellt es doch einen ersten Schritt zur Koordination altersrelevanter Politikbereichen sowie zur Anerkennung der Altersproblematik auf Bundesebene dar. „Älterwerden heißt selbst ein neues Geschäft antreten; alle Verhältnisse verändern sich, und man muss entweder zu handeln ganz aufhören, oder mit Willen und Bewusstsein das neue Rollenfach übernehmen." Goethe In relevanten Umfragen wurde offensichtlich, dass die meisten SeniorInnen wünschten, von älteren Menschen vertreten zu werden und dass es einen kontinuierlichen Austausch zwischen Basis und Verwaltung gäbe. Die Betroffenen selbst sehen sich zu wenig wahrgenommen, fühlen sich nicht genügend informiert und konstatieren ein mangelndes Generationenbewusstsein. Sie orten eine gesellschaftliche Ausgrenzung als KundInnen, bei Beh\'f6rden und in Altersheimen. Der herrschende Jugendkult verhindere eine Auseinandersetzung mit der jüngeren Generation. Für die jetzige Generation der Pensionistinnen sei Mitsprache auch durch individuelle Barrieren schwierig. Gesundheitliche Einschränkungen, plötzliche Krankheiten, Familiendienste, Autoritätsgläubigkeit, mangelnde Eigeninitiative und Selbstbewusstsein, sowie angst vor Verantwortung und ein Überangebot an Konsum- und Freizeitangeboten seien dafür verantwortlich, dass gesellschaftspolitisches Engagement nicht wahrgenommen werden kann. "So wie man im Ruhestand zuviel Zeit haben kann, hat man - in Bezug auf die verbleibende Lebenszeit - zugleich zu wenig, wenn man versäumt, rechtzeitig die Weichen zu stellen. Die Anforderungen des Ruhestandes verlangen ein Zeitmanagement zwischen den Polen der ausgeweiteten (Alltags-)Zeit und zugleich eingeschränkten (Lebens-Zeit. Die Seniorenreferate auf Landesebene sind ein wichtiger Baustein zur weiteren Etablierung von Altenpolitik und politischer Mitsprache älterer Menschen in Österreich. Trotz aller Aufbruchstimmung gibt es derzeit noch kein Herangehen an die großen

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Herausforderungen potentieller Konfliktbereiche in der Altenpolitik - Konflikte zwischen Verwaltung und Aktivistinnen vor Ort; in den Themenbereichen der Lebens- und Wohnmöglichkeiten, der Pflegevorsorge, der Übergangsregelungen in die Pension, der Förderung ehrenamtlicher Arbeit und des Konfliktpotentials zwischen den Generationen. Gronemeyer sieht die ökologische Einstellung älterer Menschen sehr einseitig: "Ich prognostiziere eine klammheimliche Freude der Alten, die sich noch voll dem Konsumrausch hingegeben haben - auf Kosten der folgenden Generationen. Wenn die Enkel überhaupt leben werden, dann werden sie einen Müllberg, eine Erblast ihrer Väter und Großväer vorfinden, sie werden sich einschränken müssen - und sie werden womöglich voller Hass und Verachtung auf diese Alten blicken. Um das Verständnis zwischen den Generationen zu forcieren, ist es wünschenswert Gesprächsforen einzurichten. Das Referat für Generationenfragen an der Hochschülerschaft der Universität Graz hat ein Diskussionsforum eingerichtet, um den unterschiedlichen Fragestellungen unterschiedlicher Altersgruppen nachzuspüren. "Der Jugendwahn unserer Gesellschaft ist idiotisch. Ich frage mich immer, wie viele Jahre sind dann eigentlich lebenswert? Die Zeit von Anfang bis Ende Zwanzig? Und was ist mit all den übrigen Jahren, dem eigentlichen Leben? Die Besessenheit, sich an die Jugend zu klammern, blockiert alles Lebendige. Mehr noch: Sie ist absolut lebensfeindlich. Für viele hört das Leben wirklich da auf, wo es beginnen sollte. Zwischen dreißig und vierzig entwickelt der Mensch normalerweise erst ein klares Bewusstsein von sich und seiner Umgebung. Wie oft höre ich den Ausspruch von jungen Leuten: 'Ich komme jetzt auch in die Jahre...' Und dann sind sie um die dreißig. Und die um die vierzig fragen sich verzweifelt: Was soll denn jetzt noch kommen? Lotti Huber, Die Zitrone hat noch viel Saft, Berlin 1990 Die Gespräche zeigen, dass die unterschiedlichen Lebenswelten und ihre daraus resultierenden Problemstellungen den jeweils anderen Generationen unbekannt sind. „Die Alten waren alle schon einmal jung, aber zu einer Zeit, die andere Problemstellungen hatte und die Jungen kennen das Alter nicht. So gibt es Schranken zwischen den Generationen, die trotz gegenseitigen Bemühens nicht zu durchbrechen sind“. Trotzdem kann man sich hervorragend ergänzen. Die Kraft und Energie der Jungen, die Lebenserfahrung und gestalterische Fähigkeit der Alten könnten in vielen Bereichen gesellschaftlich verändernd wirken. "Ich las einmal die Geschichte einer Gruppe von Menschen, die in einem unbekannten, sehr hohen Turm immer h\'f6her stiegen. Die ersten Generationen drangen bis zum fünften Stock vor, die zweiten bis zum siebenten, die dritten bis zum zehnten. Im Laufe der Zeit gelangten die Nachkommen bis in das hundertste Stockwerk. Dann brach das Treppenhaus ein. Die Menschen richteten sich im hundertsten Stockwerk ein. Sie vergaßen im Laufe der Zeit, dass ihre Ahnen ja auf unteren Stockwerken gelebt hatten und wie sie auf das hundertste Stockwerk heraufgelangt waren. Sie sahen die Welt und sich selbst aus der Perspektive des hundertsten Stockwerkes, ohne zu wissen, wie Menschen dahin gelangt waren. Ja sie hielten sogar die Vorstellung, die sie sich aus der Perspektive ihres Stockwerkes machten, für allgemein menschliche Vorstellungen."(Norbert Elias) "Sich für die Welt, in der die erwachsenen Kinder und die Enkel leben, zu interessieren, sich zu orientieren, das ist die Aufgabe des Betagten!" Ursula Lehr, Am 26. Juni 1997 wird zur zweiten ökumenischen Versammlung in Graz ein Fest der Generationen mit Podiumsdiskussion, Fotoausstellung und einem Tanzfest für alle

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Generationen stattfinden. Im Anschluss daran wird eine Veranstaltung für das Spezialthema „Miteinander Wohnen“ organisiert. Diese wird international ausgerichtet und soll in Zusammenarbeit mit Bürgermeister Alfred Stingl, Landeshauptmann Klasnic, Rektor der KFU-Graz und dem Bundesministerium für Umwelt, Jugend und Familie, stattfinden. Ältere Frauen und Männer von heute haben ein neues Lebensalter hinzugewonnen. Man spricht daher von der Möglichkeit einer „Dritten Karriere“. Die erste ist die Schulzeit, die zweite die Berufszeit/Familienzeit und die dritte ist die nachberufliche Karriere. Ein wesentlicher Aspekt hinsichtlich der „Dritten Karriere“ wäre die Förderung gesellschaftspolitischer Mitsprache. Inwieweit ältere Frauen und Männer sich engagieren werden, hängt davon ab, ob die jeweiligen Anliegen aus der eigenen Lebenswelt zu öffentlichen Themen gemacht werden und ob Mitsprache von SeniorInnen lediglich als Mitbestimmung oder aber als gesellschaftliche Teilhabe und Partizipation definiert wird. Eine lebensweltbezogene Partizipation älterer Menschen kann in erster Linie durch Initiativen und Aktivismus der SeniorInnen entstehen. Eine dies ermöglichende Politik könnte an folgenden Eckpunkten ansetzen: Transparente Information älterer in Angelegenheiten, die sie selbst angehen und Öffentlichkeitsarbeit, um die Potentiale älterer Erwachsener stärker sichtbar zu machen. Änderung des negativen Altersbildes unter gezielter Einbeziehung Älterer. Wiederbelebung und Einbeziehung der Lebenserfahrung älterer Menschen. Unterstützung von Initiativen älterer Menschen, die eigenverantwortlich zu ihrer Lebensgestaltung beitragen möchten - Aktivierung von Selbsthilfepotentialen. F\'f6rderung von generationsübergreifender Verständigung - jüngere Menschen profitieren vom Erfahrungswissen Älterer und Ältere lernen mit neuen Realitäten umzugehen. Berücksichtigung der Heterogenität ältere Menschen durch Förderung von Projekten und Initiativen spezifischer Zielgruppen und Themenbereiche. Beachtung altersspezifischer Gemeinsamkeiten, um das Bewusstsein älterer Menschen als Gruppe über parteipolitischen Grenzen hinweg auszubilden. Donicht-Fluck erklärt zur differenzierten Situation älterer Menschen sehr deutlich: "Lasst uns denen helfen, die tatsächlich auf Hilfe angewiesen sind, aber lasst uns Alter nicht nur als Phase der Hilfsbedürftigkeit und Abhängigkeit begreifen, sondern auch als Potential an Wissen und Können, Erfahrung und Überlebenskraft. Ein Umdenken ist dringendste geboten, denn anstatt alte Menschen schlechthin als Belastung f\'fcr die Gesellschaft anzusehen, gilt es zu erkennen, dass sie selbst noch einen Beitrag zur Lösung gesellschaftlicher Probleme zu leisten imstande sind und diesen auch erbringen wollen. Die GEFAS-Steiermark hat hier eine Vorbildfunktion bzw. ist der „ Stachel im Fleisch“. In der GEFAS-Steiermark wird auf kleinster Ebene an den Problemen, die Menschen im dritten Lebensalter haben, gearbeitet. Aus diesen praxisbezogenen Arbeiten kann eine wissenschaftlich fundierte Stossrichtung in Richtung dritte Karriere laufen. Auch sind Ansätze im regionalen Bereich zu verzeichnen, und zwar über ein Bildungsprojekt, das in Zusammenarbeit mit den Erziehungswissenschaften erarbeitet wird und über die Publikationen der Vorlesungsreihen des „INTERGENERATIVEN LERNENSW“. Eine gute Zusammenarbeit von unterschiedlichsten Institutionen wäre zu befürworten und voranzutreiben, um einen Gedankenaustausch bezüglich einer „Dritten Karriere“ und dem Verständnis zwischen den Generationen untereinander voran zu treiben.

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Wenn wir zur Ausgangsfrage zurückkehren: „Muss man/frau sich vorm Altern fürchten“? Dann ist es nötig sich hier die persönliche Frage zu stellen, ob es uns genügt, dass Fragen, die das Wohlergehen von 1,6 Millionen Frauen und Männern betreffen, von einer Handvoll männlicher Funktionäre behandelt werden oder ob wir, die wir in einer sich drastisch verändernden Welt unser persönliches Älterwerden zu meistern versuchen, nicht doch ein Mitsprache jenseits der Parteiorganisationen einfordern müssen. Fragebogen: • Wie alt wollen sie werden? • Leben Sie in einer Partnerschaft? In einer Alters Wohngemeinschaft? • Sind Sie in einen Familienverband eingebunden? Stark? Schwach? • Wie viele Jahre sind Sie im Ruhestand? • Ist der Terminus Ruhestand für Ihre nachberufliche Lebenszeit entsprechend? • Waren Sie während ihrer Berufs- bzw. Familienarbeit in Vereinen/Organisationen tätig? • Sind Sie jetzt in einer in einem Verein/Organisation tätig? • In welchen Bereichen? Partei; Sport; Soziales; Sonstiges: • Wieviele Stunden pro Woche? • Sehen Sie in Ihrer Arbeit einen persönlichen Gewinn? • Fühlen Sie sich über die parteipolitischen Seniorenorganisationen genügend vertreten? • Welche Alternativen sehen Sie? • In welcher Weise könnten Sie selbst tätig werden? • Sehen Sie Zusammenhänge zwischen Weiterbildung und der Fähigkeit sich für öffentliche Belange zu engagieren? • Sind Sie an der Universität Graz immatrikuliert? • Welche Studienrichtung? • Welche Vorlesungsschwerpunkte sind für Sie besonders interessant? • Welche weiteren Bildungsveranstaltungen besuchen Sie? • Fühlen Sie sich zu Bildungsangeboten, die das Wort „ALTER“ ansprechen eher angezogen / abgestoßen? • Haben Sie in Ihrer Jugend studiert?

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